Klimaschutzziele der Europäischen Union, Deutschlands und Baden-Württembergs
Die EU unterstützt nicht nur das Paris-Ziel der Begrenzung des menschengemachten Klimawandels auf deutlich unter 2° C, besser 1,5° C, sondern hat dazu ein umfangreiches Legislativpaket verabschiedet, um bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen in der EU um 55 % zu senken („Fit for 55“) und bis 2050 das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 mit dem Tenor, dass die damals gültigen gesetzlichen Klimaschutzziele die Belange der künftigen Generationen nicht angemessen berücksichtigen, ist die Klimaschutzgesetzgebung in Deutschland mit Wirkung zum 31. August 2021 verschärft worden. Bereits bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken, bis zum Jahr 2045 soll Klimaneutralität erreicht werden.
Das Land Baden-Württemberg hat mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes im Oktober 2021 sogar noch ehrgeizigere Ziele festgelegt: für 2030 wird das bundesdeutsche Minderungsziel von 65 Prozent bestätigt, jedoch soll bereits bis 2040 über eine schrittweise Minderung die Netto-Treibhausgasneutralität („Klimaneutralität“) erreicht sein.
Klimaschutz-Strategien und CO2-Bilanzierung
Kritiker*innen bemängeln, dass der Wettlauf um immer ehrgeizigere Ziele nur dazu führt, dass in Europa – aufgrund der Wirkung des Emissionshandels – die Vorreiterstaaten bzw. -länder es den Nachzüglern erlauben, ihre höheren CO2-Emissionen beizubehalten und damit kostengünstiger produzieren zu können. Diese Kritik vernachlässigt, dass „mehr Klimaschutz“ regelmäßig mit „mehr und schnelleren Innovation“ einhergeht und dass daraus in Wirklichkeit zumeist Wettbewerbsvorteile für die innovativen Unternehmen entstehen. Schnell sein – im richtigen Tempo! – , zahlt sich also aus.
Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Klimaschutzgesetzgebung entstammen jedoch nicht nur unterschiedlichen politischen Gewichtungen, sondern setzen in unterschiedlichem Maße viel radikalere Ansätze um, die in Teilen der Wirtschaft von ihr selbst, ohne staatliche Vorgaben, verfolgt werden. Viele Unternehmen setzen sich schon jetzt klare CO2-Reduktionsziele: manche wollen bereits bis 2040 klimaneutral sein, andere sogar schon bis 2030.
Und das bezieht sich nicht nur auf die direkten Emissionen aufgrund des eigenen Energie- und Rohstoffumsatzes im Unternehmen („Scope 1“) oder auf indirekte Emissionen durch den Bezug von leitungsgebundener Energie („Scope 2“), sondern kann sich auch auf alle anderen indirekten CO2-Emissionen beziehen, z.B. aus der Abfallerzeugung, aus Geschäftsreisen oder aus dem Bezug von Waren von Vorlieferanten („Scope 3“). Die wesentlichen Grundlagen für die unternehmensbezogene CO2-Bilanzierung sind schon seit langem internationaler Standard: Die Einteilung der CO2-Emissionen in verschiedene „Scopes“ geht auf die Leitlinien des Greenhaus Gas Protocol (GHG Protocol) und eine Kategorisierung von Treibhausgasemissionen zurück, die vom „World Resources Institute“ in Zusammenarbeit mit dem „World Business Council for Sustainable Development“ entwickelt und in einem „Corporate Accounting and Reporting Standard“ niedergelegt wurden.
Kritiker*innen fragen sich, ob die Initiativen der Vorreiter-Unternehmen technologiegetrieben sind und tatsächlich die versprochene Wirkung entfalten, oder ob sie eher marketinggetrieben sind und letztlich zu „Greenwashing“ führen. Sie sorgen sich: Sind die Standards der Zielerreichung wirklich transparent? Welche heutigen Emissionen werden bis zum Zieljahr tatsächlich durch Prozessänderungen vermieden, oder werden auch vermeidbare „Restemissionen“ durch Kompensationsprojekte neutralisiert? Welchen Standards genügen die Kompensationsprojekte, und sind die Kompensationen wirklich langfristig wirksam?
Trotz dieser Fragen sind die Vorreiter-Initiativen grundsätzlich positiv zu bewerten. Denn damit ist eine klare Entwicklung vorgegeben, von der sich diese Unternehmen auch nicht mehr lösen können, ohne massiv Vertrauen zu verspielen. Daher ist eine kritische Begleitung der Klimaschutz-Initiativen großer Unternehmen wichtig, um den Prozess dieser Vorreiter-Unternehmen in Richtung Transparenz, Verantwortlichkeit, Rechenschaft und Langfristigkeit zu lenken und sie darin zu unterstützen.
Klimaneutralität bei kleinen und mittleren Unternehmen?
Was folgt daraus für die kleinen und mittleren Unternehmen? Wenn große, internationale Konzerne sich auf Klimaneutralität bis zu einem bestimmten Zieljahr verpflichten und dieses eigene Ziel auch den Scope 3 umfasst, dann sind davon auch alle Zuliefer-Unternehmen dieser Konzerne betroffen, denn auch sie müssen klimaneutral produzieren, wenn sie in Zukunft als Zulieferer weiterhin in Frage kommen wollen. Dies führt zu einem weit radikaleren und schnelleren Umsteuern in der Wirtschaft, als dies je politisch beschlossen werden könnte, ohne die eigene parlamentarische Mehrheit für die Zukunft zu gefährden.
Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen ist es also entscheidend, sich auf eine klimaneutrale Zukunft einzustellen. Es geht darum, eigene Strategien für die Transformation zu erarbeiten, sich mit anderen Unternehmen in ähnlicher Lage zu vernetzen und Synergien zu schaffen und zu nutzen. Außerdem sollten Anpassungsbedarfe benannt und gegenüber der Politik artikuliert werden. Ein Ziel könnte sein, die notwendigen Ressourcen in Bezug auf die notwendige Anpassung der Rahmenbedingungen und eine ausreichende Förderung von Forschung, Entwicklung und Markteinführung neuer Verfahren zu erhalten.